LIVING PEOPLE - page 56

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kleinen Troll diese Frage so sehr
am Herzen liegen sollte. Dass er
sie jedem Menschen stellen muss,
dem er begegnet. Zudem lagen seit
Monaten in meiner Heimatstadt und
an vielen anderen Orten Karten mit
dem Bild des kleinen Trolls auf, im
Hintergrund: Weißt du die richtige
Frage?
Nun erkannte ich, dass
ich selbst
,
ich, die den kleinen Troll gemacht
hatte, vor diesem Rätsel stand wie
der buchstäbliche Ochs vorm Berg!
Ach, wie sich der kleine Troll freute,
dass ich Zeit mit ihm verbrachte!
Mit ihm ganz alleine. Wie er von
Farn zu Farn sprang und dabei schrie
und kreischte vor Freude! Ich konn-
te sein kleines grünes Herz leuchten
sehen und seine Haare sprühten
helle Funken.
Ich merkte, dass ich die Lösung gar
nicht einfach fand.
Was ist denn nun wirklich die rich-
tige Frage?
Ich begann zu überlegen und mit
dem kleinen Troll zu sprechen.
„Ist die richtige Frage die, welchen
Schatz du bewachst?“ – Nein, ach
nein, natürlich nicht... (Der kleine
Troll hüpfte um mich herum wie ein
ungeduldiges Kind).
Hm, die Frage „Wer bist du?“ – Aber
das ist klar, du bist ein kleiner Troll...
– Ja, natürlich, sieht man doch,
rief der kleine Troll. Seine Stimme
war ganz klar und hell und doch
auch irgendwie erdig. Er sah mich
mit gespannt funkelnden Augen an.
Der kleine Troll traute es mir zu,
diese für ihn so wichtige Frage zu
finden. Ich wollte ihn auf keinen Fall
enttäuschen.
Ich überlegte und überlegte, wel-
ches die richtige Frage war.
Jedes Lebewesen will doch in sei-
nem Sein erkannt werden, sinnierte
ich. Wenn ich dich nun nach deiner
Aufgabe frage, kleiner Troll... aber
nein, die weiß ich ja, und eine Fra-
ge, deren Antwort ich kenne, ist ja
keine echte Frage mehr. Du gibst je-
dem von deinem Schatz, der dir die
richtige Frage stellt – das ist deine
Aufgabe, oder – wenigstens gehört
das dazu......
Hm, ich gehe im Kreis.
Welches ist sie denn nun, die rich-
tige Frage ????
Plötzlich erspürte ich ein Sehnen.
Ich spürte das Sehnen des kleinen
Trolls erlöst zu werden. Wovon?
Wovon wollte er erlöst werden?
Was war es, das ich als seine Schöp-
ferin für ihn tun könnte?
Nur ich kann diese Frage stellen, die
ihm hilft, der zu werden, der er ist
– hörte ich in meinem Inneren.
Da war es mir klar: Ich muss ihn
nach seinem Namen fragen. Das ist
es, natürlich! Das ewiggeltende
„Ich-habe-dich-bei-deinem-Namen-
gerufen“. Das erst gibt Geborgen-
heit, das erst ermöglicht zu wissen,
wer man ist.
Als ich nun diese Gedanken dachte,
verfiel das Gesicht des kleinen Trolls.
Ganz verzagt und unglücklich stand
er vor mir.
Die richtige Frage ist die Frage nach
deinem Namen, nicht wahr? sagte
ich leise zu ihm.
Ein kleines Nicken.
– Du selbst kennst deinen Namen
nicht, ist es das, mein kleiner
Freund?
Jajaja!! Rief der kleine Troll
und sprang große wütende
Farnsprünge. Das ist es
eben! Wenn ich doch nur
meinen Namen wüsste!
Dann drehte er sich zu mir.
Vertrauend und hoffnungsvoll.
Während ich den Wurzelwegen
des uralten Waldes folgte, während
meine Hände Moose streichelten
und Beeren pflückten, braute sich
meinem Innersten der Name des
kleinen Trolls zusammen.
Hast du schon einmal einer Wol-
ke beim Entstehen zugesehen? Da
tauchen am Himmel aus dem Blau
nach und nach weiße Fetzenschlei-
er auf, die sich zusammentun – bis
die Wolke da ist. Genauso geschah
es in mir.
Der kleine Troll ist einer, der den
Menschen einen Weg weist, den
es sich zu gehen lohnt, so dach-
te ich. Die Menschen, die sich
vor ihm fürchten, lässt er in Ruhe.
Denen, die ihn als Phantasiegespinst
abtun, schnürt er die Schuhe falsch
zusammen, so dass sie beim Wan-
dern stolpern oder er schickt ihnen
Mücken, die sie stechen und plagen.
Dann weinen sie, und verirren sich.
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