LIVING PEOPLE - page 21

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Jeden Morgen schaute sie zuerst nach dem Blumentopf mit der
kleinen Pflanze. Sie stellte sie an den besten Platz vor dem Haus,
wo Sonne und Schatten dem werdenden Wesen gut taten.
Sie goss sie mit reinem Regenwasser und achtete darauf, dass sich
kein Schädling an den zarten hellgrünen Blättern vergehen konnte.
Wenn die Tagesarbeit getan war, setzte sich die gute Frau zu der
kleinen Pflanze, legte die Hände in den Schoß und wartete.
*
Viele Tage, viele Wochen, viele Monate ging das so.
Die Blätter waren inzwischen stark und grün geworden, der
Stamm hoch, fest und schön. Nur oben, ganz oben – hielt die
Pflanze ihr Köpfchen fest verschlossen.
In vielen Büchern hatte die Frau, die so gerne ein Kind haben
wollte, bereits nach dem Namen der Pflanze gesucht und alle ihre
Bekannten und Freunde gefragt, doch nirgends war der Name zu
finden, keiner hatte je so eine Pflanze gesehen.
Es wird schon so ein Zauberkraut sein, wenn du es von der Alten
am Berg bekommen hast, meinten die einen. Wirf es lieber weg,
bevor es dir schaden kann, bekräftigten die anderen. Am Ende ist’s
nichts als wertloses Unkraut, mit dem du nur Arbeit hast, sieh doch
nur, so lange braucht keine anständige Blume, um zu aufzublühen!
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