LIVING PEOPLE - page 15

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und am allerliebsten: Das große Stromwasser! Darin
schwelgt Herr Wassermann tagelang.
So ist es über die Jahre geschehen, dass sich Herrn
Wassermanns Liebe zum Wasser in seiner Physi-
ognomie zu manifestieren begann. Zuerst in zart
sandig-weißen bis hellgrün schimmernden Inselchen
auf seiner Kopfhaut und schließlich stärker und ein-
deutiger hervortretend an den Backenknochen, Kinn
und Ohren, übergehend in die prächtig wallend-
farbenreiche Form, die sich bis zum heutigen
Tage zeigt.
Herr Wassermann nahm dieses Hervortreten
des Wassers durch seine Person mit einer gewissen
Verwunderung, auf jeden Fall aber
(apropos „Fall“: auch über Wasserfälle dichtet er) mit
einer stillen Würde und Dankbarkeit hin.
Seinen gefütterten Gehrock hat Herr Wassermann
geerbt und er ist sehr stolz auf ihn. Allerdings erfüllt
ihn mit leisem Bedauern die Tatsache, dass der Geh-
rock ihn unter den Achseln zwickt. Nun, das ist ein
Teil des Weltschmerzes. Herr Wassermann leidet am
Weltschmerz. Auch die nicht zu leugnende Tatsache,
dass Zeitungen – leider des Öfteren – seine Ge-
dichte (Geburten der Geduld und Qual, Zeugnisse
einsamer Nächte voll weltumfassenden Verständ-
nisses) verschmähen, erfüllt Herrn Wassermann mit
eben diesem Weltschmerz.
Nun ist aber gerade dieser so verlässliche Schmerz
der augenscheinlichste Beweis für die Künstlerseele.
Ach!
Die Welt ist manchmal so lieblich und manchmal
so kalt.
(Da schützt ein hoher Kragen).
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